Neun Fragen zum Thema «Riskmanagement» an José Uhler, Geschäftsführer von G.I.B. und G.T.C.
«Die Risiken werden unterschätzt»
Die Risiken im Speditionsgeschäft haben im Zuge der mit Globalisierung zusammenhängenden, zunehmenden Komplexität des Gewerbes klar zugenommen. José Uhler, Geschäftsführer des Versicherungsmaklers Global Transport Consultants, erklärt, warum Risiken nach wie vor nicht erkannt werden, und wie man sich vor ihnen schützen kann.
Herr Uhler, Sie führen seit 2001 die beiden unabhängigen Firmen Global Insurance Brokers (GIB) und Global Transport Consultant (GTC). Was unterscheidet die beiden Bereiche?
Als GIB treten wir als Versicherungsmakler am Markt auf und sind neutral. Hier vermitteln wir Standard- und Spezialversicherungen und bieten Risiko- und Versicherungsportfeuilleanalysen sowie nationale und internationale Versicherungsdienstleistungen inklusive Schadenbearbeitung an. GTC hingegen verfügt über ein breites Spektrum an Dienstleistungen für unsere Kunden. Dazu gehören spezifische Risikoanalysen, Risikomanagementberatung, Rechtsberatung wie auch die Bearbeitung von Schadenfällen. Als GTC arbeiten wir unter anderem auch für die nationalen Versicherer von «Captives», also für firmeneigene Versicherungsunternehmen von Logistikkonzernen, die z.B. in der Schweiz spezialisierte Schadensbearbeiter brauchen.
Wie muss ich mir eine Risikoanalyse vorstellen?
Bei einer grossen Risikoanalyse eines Unternehmens schauen wir uns sämtliche Verträge an und analysieren detailliert die unterschiedlichsten Geschäftsfelder. Wir gehen Fragen nach wie: Welche Aktivitäten werden getätigt? Welche Verträge bestehen mit Kunden? Beinhalten diese Verträge irgendwelche besondere oder aussergewöhnliche Haftungsrisiken und sind diese in den Policen auch mitversichert? Wir erarbeiten jeweils auf das Unternehmen und seine Geschäftsfelder zugeschnittene Fragekatalogen und interviewen dann die Mitarbeiter vor Ort. Grössere Aufträge können sich über mehrere Monate hinziehen, wir führen aber auch kleinere Analysen durch, aber beschränken uns nur auf das operative Geschäft, wir bieten keine Finanzanalysen an. Wichtig ist in jedem Fall, dass die Versicherungen geprüft werden, sowie bestehende Logistik- und Kooperationsverträge, die oft versteckte Risiken enthalten (z.B. ungedeckte Haftungsübernahmen, Zusatz- oder erhöhte Haftung), die gravierende Auswirkungen haben können. Ich sage immer: Beim Risk-Management geht es ums Überleben einer Firma und auch um Arbeitsplatzsicherheit.
D.h. die Risiken werden von den meisten Firmen unterschätzt?
Ja, das ist leider so. Beim Abschluss von internationalen, aber auch nationalen Logistik- und Speditionsverträgen besteht immer wieder die Gefahr, dass sie von Tochterfirmen, Filialen oder Abteilungen unterzeichnet werden, ohne dass die Geschäftsleitungen Kenntnis über die darin enthaltenen Risiken, das Ausmass sowie die Konsequenzen haben. So kann es passieren, dass in einem konkreten, ungeprüften Vertrag, der dem Versicherer nicht vorgelegt wurde, eine volle Haftung des Spediteurs bis 100 000 EUR pro innereuropäischen Transport vorgesehen ist. Der Versicherer wird im konkreten Schadenfall aber lediglich die Maximalhaftung gemäss CMR, basierend auf dem Gewicht der Sendung von z.B. 2500 EUR, offerieren und auch nur diesen Betrag begleichen. Auf dem Rest bleibt der Spediteur sitzen. Solche Dinge sind in der Vergangenheit schon oft vorgekommen. Deswegen ist es sehr wichtig, dass Verträge von einem Spezialisten, der solche Risiken erkennen kann, vorgängig geprüft werden. Am besten bereits im Offertstadium.
Sie sagen, das Risikobewusstsein im Speditionsbereich ist sehr niedrig. War das immer schon so?
In den letzten Jahren ist bei den Verladern viel Know-how verloren gegangen, und auch das Risikobewusstsein ist geringer als früher, weil es oft nur ums schnelle Geld geht und der billigste Transporteur gesucht wird. Neben dem Risikobewusstsein, das beim Spediteur geschärft werden muss, muss auch wieder vermehrt bei Verlader an diesem Bewusstsein gearbeitet werden.
Sind Transport- und Speditionsunternehmen tendenziell eher unterversichert?
Im Markt sind die meisten Unternehmen unterversichert, weil sie nicht realisieren, welche Risiken beim Transport oder der Lagerhaltung der Güter heute bestehen. Das beginnt bereits bei den Transitlagern, wo oft keine Kenntnis darüber herrscht, welche Warenwerte dort liegen. Oder eine Filiale akquiriert einen neuen Kunden, für den hohe Warenwerte transportiert werden, von denen aber die Firmenzentrale aber gar nichts weiss, und für die auch keine Anpassung der Versicherungsverträge vorgenommen wurde. Hinzu kommt, dass im KMU-Bereich, gemessen an der Menge, die heute transportiert wird, nach wie vor relativ wenig passiert. Man wiegt sich in Sicherheit. Tritt dann aber unerwartet ein Schadensereignis ein, kann es ganz schnell ans Eingemachte, wenn nicht gar um die Firmenexistenz gehen.
Die Unternehmen wähnen sich in falscher Sicherheit. Aber es gibt auch Ursachen für diese Entwicklung?
Im Transportgewerbe haben zum einen generell die Warenwerte extrem zugenommen, was automatisch zu höheren Risiken führt. Zum anderen wird durch den zunehmenden Warenverkehr und die Globalisierung der Märkte das Transport- und Speditionsgeschäft zunehmend komplexer. Es werden für die immer stärker individualisierten Produkte immer mehr Einzelteile mit z.T. hohen Warenwerten kreuz und quer über den Globus geschickt, und dies mit den unterschiedlichsten Verkehrsträgern. Das hat den Transport kompliziert und risikofälliger gemacht.
Können Sie uns ein Fallbeispiel aus Ihrer Praxis erzählen, das gleichzeitig verdeutlicht, welche Rolle Ihr Unternehmen spielen kann?
In einem unserer Fälle ging es um einen Lkw-Diebstahl in Europa, für den ein mittelgrosser Schweizer Spediteur für mehrere Millionen voll haften sollte. Der Fall lag bei den Anwälten und stand kurz vor der Urteilsverkündung. Aufgrund der Rechtslage wäre es wohl auf eine volle Haftung des Spediteurs hinausgelaufen. Letzterer war jedoch nie in dieser Höhe versichert. D.h. mehrere Millionen waren nicht gedeckt. Die Ursache auch in diesem Fall: Bei Auftragsentgegennahme wurde das damit verbundene Warenrisiko nicht realisiert. Eine volle Haftung hätte dem Unternehmen wahrscheinlich seine Existenz kosten können. Der betroffene Spediteur gelangte über Umwege auf GTC, und uns ist es dann gelungen, die beteiligten Parteien, also den Anspruchsteller mit dem Transportversicherer, den Haftpflichtversicherer und den Spediteur an einen Tisch zu bringen und einen aussergerichtlichen Vergleich zu erzielen. Im Anschluss haben wir dann ein Maklermandat vom Spediteur erhalten und durch interne Schulungen vor Ort dafür gesorgt, dass solche Fälle in Zukunft nicht mehr eintreten können.
Wie sind Sie personell aufgestellt und wie stellen Sie das Know-how Ihres Personals sicher?
Ich bin von Haus aus Jurist und verfüge über 30 Jahre Speditions- und Versicherungserfahrung und arbeite mit einer weiteren Juristin zusammen. Der Rest unseres Teams stammt mehrheitlich aus der Speditionsbranche und wird hier intern geschult. Ein Plus ist u.a. unsere Mehrsprachigkeit und unsere Verankerung in der Praxis. Wir haben in den letzten Jahren kontinuierlich personell aufgestockt und konnten unsere Fälle zu über 95% ohne Gerichtsverfahren oder externe Hilfe abwickeln.
Noch ein letztes Wort zu Ihrer Rolle als Versicherungsmakler und Ihre Zusammenarbeit mit den Versicherern?
Als Versicherungsmakler sind wir wie gesagt neutral und arbeiten mit diversen Versicherern in der Schweiz zusammen. Doch neben der Vermittlung und Ausarbeitung von Versicherungspolicen übernehmen wir auch die Schadenbearbeitung. Damit heben wir uns vom Markt ab.
(Dieser Text erschien in leicht anderer Form im International Transport Journal ITJ. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der ITJ. Copyright ITJ)